Frank Decker | 2. April 2020

Bewährungsprobe für die Demokratie und den Föderalismus

Die sprichwörtliche Stunde der Exekutive

Auch wenn der Höhepunkt der Corona-Krise erst bevorsteht und ihre Dauer ungewiss bleibt, ist das Nachdenken über die Krisenbewältigung und die langfristigen Folgen der Pandemie in vollem Gange. Die Fragen betreffen dabei auch das politische System. Der Verdacht steht im Raum, dass autoritäre oder weniger freiheitlich verfasste Länder wie China und Südkorea besser in der Lage seien, der Katastrophe Herr zu werden, als die Demokratien des Westens. Diese können ihre demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien auch im Ausnahmezustand nicht einfach suspendieren, selbst wenn sie im Kampf gegen die Pandemie hart an deren Grenzen gehen müssen. Die These von der Überlegenheit der Autokratien relativiert sich aber, wenn man bedenkt, dass es gerade die fehlende Meinungs- und Pressefreiheit war, die zur raschen Ausbreitung des Virus an seinem Ursprungsort Wuhan beigetragen hat. Und ob die von der chinesischen Propaganda verkündete erfolgreiche Eindämmung der Seuche den Tatsachen wirklich entspricht, weiß ebenfalls niemand.

In Not- und Ausnahmezeiten schlägt die sprichwörtliche Stunde der Exekutive. Deren Handeln bedarf im demokratischen Rechtsstaat freilich auch hier der gesetzlichen Grundlage, weshalb die in der soeben verabschiedeten Novelle des Infektionsschutzgesetzes aufgenommenen weitreichenden Verordnungsbefugnisse des zuständigen Bundesgesundheitsministers problematisch sind. Das Grundgesetz kennt bereits eine Notstandsverfassung, die aber nur für den Verteidigungsfall gilt. Sie sieht, anstelle einer Übertragung der parlamentarischen Befugnisse auf die Exekutive, die Einrichtung eines aus Vertretern des Bundestages und Bundesrates gebildeten „Notparlamentes“ vor, falls der Bundestag am Zusammentreten gehindert ist.

Wenn jetzt empfohlen wird, diese Bestimmung in Zukunft auf Katastrophenfälle nach Art der Corona-Pandemie auszuweiten, geht das an der Sache vorbei. Der Bundestag ist in seiner Arbeitsfähigkeit durch das physische Abstandsgebot zwar eingeschränkt, aber nicht bedroht. Wieviel Flexibilität im Rahmen der parlamentarischen Selbstorganisation möglich ist, haben die Abgeordneten in den letzten Tagen und Wochen eindrucksvoll bewiesen. Diese Flexibilität ist auch deshalb wichtig, weil der Öffentlichkeit, die das Parlament durch die Debatten im Plenum herstellt, in der jetzigen Situation noch größere Bedeutung zukommt als in Normalzeiten.

Starker Verwaltungsunterbau

Eine Bewährungsprobe stellt die Notstandssituation zugleich für den Föderalismus dar. Weil dieser in Deutschland traditionell von der Idee der Einheitlichkeit aus gedacht wird (und nicht, wie es näherliegen wäre, der Vielgestaltigkeit), war die Kritik an dem uneinheitlichen und manchmal auch unabgestimmten Handeln der Länder in der Krisenbewältigung bis in den Sprachgebrauch hinein („Flickenteppich“) vorhersehbar. Dabei wird aber mindestens zweierlei übersehen: Zum einen sind die weitreichenden Maßnahmen der Corona-Eindämmung, die – von den Schulschließungen über die Ausgangsbeschränkungen bis zur Stillegung von Teilen der Wirtschaft – zum gesellschaftlichen shutdown geführt haben, in der Bundesrepublik ähnlich schnell und konsequent erfolgt wie in unseren zentralstaatlich verfassten europäischen Nachbarländern. Und zum anderen – noch wichtiger – hat der starke Verwaltungsunterbau (etwa in Gestalt der Gesundheitsämter), den die föderalen Strukturen mit sich bringen, dazu beigetragen, dass die Krise gerade an den besonders betroffenen Orten vergleichsweise effektiv bekämpft worden ist. Von daher macht es eigentlich wenig Sinn, wenn der Bund einen wesentlichen Teil der Verwaltungszuständigkeit beim Infektionsschutz nun an sich zieht, wie es das geänderte Gesetz vorsieht. In Zeiten wie diesen, in denen die Bürger nach kraftvoller Führung verlangen, konnten und wollten die Länder sich dem jedoch nicht widersetzen.

Erstveröffentlichung in der Publikationsreihe Salzkörner des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) https://www.zdk.de/veroeffentlichungen/salzkoerner/

Der Verfasser

Prof. Dr. Frank Decker ist Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn.