Jörg Althammer | 18. November 2021
Patentschutz für Corona-Impfstoffe?
Für Bill Gates ist es das „Dümmste, was er je gehört hat“: die Forderung, Patente auf Corona-Impfstoffe auszusetzen. Die Staaten des globalen Südens, Nichtregierungsorganisationen und die WHO sehen das ganz anders. Sie fordern seit langem einen Verzicht auf den Patentschutz für die lebensrettenden Vakzine. Denn gerade die ärmeren Staaten sehen nicht ein, warum sie für einen lebensrettenden Impfstoff einen Preis zahlen sollen, der deutlich über den Produktionskosten liegt. Von der Aufhebung des Patentschutzes erhoffen sie sich vor allem eine global gerechtere Verteilung der Vakzine. Denn während die Menschen in den entwickelten Staaten bereits ihre dritte Impfung erhalten und in Deutschland zudem teure Werbekampagnen gestartet werden, um Impfskeptiker doch noch zu einer Impfung zu bewegen, stehen in den Ländern des globalen Südens gerade einmal für 20 Prozent der Bevölkerung Impfungen zur Verfügung. Aber Kritik an diesem Vorschlag kommt nicht nur von Bill Gates. Auch die führenden Pharmaunternehmen und -verbände, die Europäische Union und auch die deutsche Bundesregierung haben sich grundsätzlich gegen eine Freigabe der Patente ausgesprochen.
Unbestritten ist: Geistiges Eigentum ist ein schützenswertes Gut. Aus wirtschaftlicher Sicht ist der Patentschutz von Innovationen sogar zwingend notwendig. Denn nur so sind Unternehmen in der Lage, Produkte zu entwickeln, deren Markterfolg zunächst völlig unsicher ist. Deshalb müssen patentgeschützte Produkte auch überdurchschnittlich hohe Gewinne erwirtschaften. Denn aus ihren Erträgen müssen nicht nur die Kosten für das patentgeschützte Produkt erwirtschaftet werden; die Gewinne dienen auch dazu, die Forschungs- und Entwicklungskosten für jene Innovationen abzudecken, die nicht zur Marktreife gelangen. Würden erfolgreiche Innovationen keine Gewinne abwerfen, so käme der technische und wissenschaftliche Fortschritt sofort zum Erliegen. Und daran kann niemand ein Interesse haben, am allerwenigsten die Staaten des globalen Südens. Allerdings ist der Sachverhalt bei den COVID-Vakzinen doch etwas differenzierter. Zum einen hatte die Pharmaindustrie bei der Entwicklung der CO- VID-Vakzine nur ein geringes unternehmerisches Risiko zu tragen, da die Forschung an diesen Impfstoffen zu einem ganz erheblichen Teil staatlich bezuschusst wurde. Zum anderen sind die Gewinn- spannen doch außergewöhnlich hoch. So beträgt der Preis für den Impfstoff von Pfizer/Biontech das Vierfache, der von Moderna sogar das Neunfache des Preises von AstraZeneca, bei dem die Entwickler auf den Gewinn verzichten.
Die Freigabe des Patentschutzes löst gewiss nicht alle Verteilungsprobleme und wirft eine Reihe neuer Fragen auf. Aber gerade in einer globalen Pandemiesituation tragen multinational agierende Pharmaunternehmen eine besondere Verantwortung. Wenn sie dieser Verantwortung nicht gerecht werden, setzen sie ihre unternehmerische Reputation aufs Spiel. Auch das müssen verantwortungsbewusste Manager berücksichtigen.
Zuerst erschienen in: Die Tagespost, Ausg. v. 18.11.2021