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Lars Schäfers | 23. September 2020


Berichterstattung im Corona-Jahr

Wenn Medien die Seele leiden lassen


Es waren dramatische Szenen in diesem Frühjahr: Dicht an dicht stehen Krankenhausbetten mit Menschen an Beatmungsgeräten, dutzende Lastwagen transportieren die Toten zu den Friedhöfen, Angehörige weinen, die sich nicht mal mehr von den Verstorbenen verabschieden durften. All das konnte jeder über die Medien teils im Minutentakt mitverfolgen. Speziell für Menschen mit psychischen (Vor-)Erkrankungen kann der Medienkonsum in Zeiten von Corona ernste Folgen haben. Medien wirken. Die Medienwirkungsforschung kommt in unterschiedlichen Studien zu dem Ergebnis, dass sich der Fokus auf überwiegend negative Themen wie Katastrophen, Krisen und Skandale destruktiv auf die Psyche der Menschen auswirken kann. Der Blick auf das eigene Leben wird negativer; erlernte Hilflosigkeit kann die Folge sein. Sei es Panik vor Menschenmengen, Krankheitsfurcht oder zwanghaftes Händewaschen: Mediziner befürchten in der Coronakrise einen deutlichen Anstieg an psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Zwängen.

Medienethische Verantwortung in Zeiten von Corona besonders gefragt

Wir brauchen aber die Medien, um informiert zu bleiben. Der Journalismus galt deshalb lange Zeit als ein gesellschaftlicher Schlüsselberuf, oft wird er auch als vermeintliche „vierte Gewalt“ bezeichnet. Ihm wird traditionell zudem die sogenannte Gatekeeper-Funktion zugeschrieben: Nach dem bekannten US-amerikanischen Journalisten und Medienkritiker Walter Lippmann entscheiden Journalisten als „Torhüter“, welche Meldung zu welchem Ereignis es in welcher Weise wert ist, publiziert zu werden, und was der Öffentlichkeit hingegen nicht mitgeteilt werden soll. Wer ist aber dann der Schiedsrichter? Und nach welchen Regeln pfeift er die Torhüter zurück? Zum einen geht es dabei um Relevanz. Zum anderen aber auch um Ethik: Medienethik, näherhin die journalistische Ethik, sucht Antworten auf diese Fragen. Sie fragt danach, was Journalistinnen und Journalisten sollen oder nicht sollen.

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, lautet ein geflügeltes Wort des Soziologen Niklas Luhmann. Demnach spielt es für unsere Gesellschaft und für jeden Mediennutzer eine große Rolle, wie dieses Wissen aufbereitet und präsentiert wird. Eine vitale Demokratie benötigt einen Demos, also Staatsbürger, die ihre Entscheidung vernünftig-besonnen und auf einer fundierten Informationsgrundlage treffen. Diese liefert für einen Großteil der Menschen (noch immer) vornehmlich der professionelle Journalismus. In der Medienethik geht es daher auch darum, wie Massenmedien und Journalisten ihrer Rolle und Funktion in Demokratie und Gesellschaft und gegenüber dem Publikum gerecht werden. Es geht dabei um Verantwortung – ein Schlüsselbegriff der Medienethik.

Kirchliche Medien mit Sinn für Hoffnung

Vor kurzem beging die katholische Kirche den 54. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel. Ein passender Anlass für den Appell an die hohe Verantwortung der Medienschaffenden, angemessen über die Pandemie zu berichten. Ein Anlass auch darauf hinzuweisen, dass in diesen Zeiten nicht nur auf die allgemein gebotene, sondern als Medienrezipienten auch auf eine gute Medienhygiene zu achten ist. Nicht jede dramatische Meldung, nicht jede schrille Überschrift muss gelesen bzw. angeklickt werden. Für die kirchliche Präsenz auf den Aeropagen (vgl. Apg 17,19) der medialen Öffentlichkeit bedeutet dies, sich nicht den quotenträchtigen Spielregeln anzupassen. Ihr Beitrag zur publizistischen Kultur in Zeiten der Pandemie kann es sein, Perspektiven aufzuzeigen und Hoffnungen zu vermitteln. Die ehemalige thüringische Ministerpräsidentin und evangelische Pfarrerin Christine Lieberknecht wirft den Kirchen vor, dass sie die Menschen in der Zeit des Lockdowns allein gelassen haben. Diese Kritik ist aber nicht fair, waren und sind doch viele Seelsorgerinnen und Seelsorger per Telefon oder durch Briefe oder eben mittels der publizistischen Medien für die Menschen da.

Von der Guten Nachricht unter und neben allen Nachrichten berichten

Pfarrbriefe, Kirchenzeitungen, christliche Blogs und Co. können im Sog der schlechten Nachrichten rund um COVID-19 den Horizont dafür offenhalten, dass wir der Pandemie nicht machtlos ausgeliefert sind. Die Botschaft des Evangeliums, der guten Nachricht schlechthin, ermutigt zur Entkatastrophisierung. Es darf dabei natürlich nicht um einen bloßen Ersatz des medialen „negative bias“ durch einen „positive bias“ gehen, sondern um eine notwendige Ergänzung. Gerade das Genre des Konstruktiven Journalismus ist um eine solche erweiterte, lösungsorientierte Perspektive bemüht.

Überdies gilt: Eine besiegte Krankheit garantiert noch lange nicht Zufriedenheit, Wohlbefinden und Glück. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit letztlich als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“ und damit nicht allein als „das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“ Wird im kirchlichen Kommunikationskosmos eine solche Hoffnungsperspektive medienethisch-verantwortungsvoll vermittelt, kann dies nicht allein Menschen mit psychischen Erkrankungen, sondern allen helfen, die nach dem je größeren Sinn dürsten, auf den die frohe Botschaft verweist.



Der Verfasser

Die Pandemie und das Subsidiaritätsprinzip

Stefan Gaßmann | 09. November 2020


Freiheit heißt Verantwortung – Verantwortung heißt Freiheit

Ein Perspektivwechsel im Blick auf den Lockdown-Light


Seit letzter Woche gelten in Deutschland wieder verschärfte Regeln zur Kontaktreduzierung, um die Ausbreitung des Erregers SARS-CoV-2 zu verlangsamen. Was vielen unmöglich schien, ist nun wieder Wirklichkeit. Und überall regt sich – wenngleich auch nicht massenweise – Widerstand. Zumal die Parlamente die von den Ministerpräsidenten zusammen mit der Bundeskanzlerin ausgehandelten Maßnahmen in vielen Ländern nur noch mehr oder weniger abnicken durften. Und auch die Änderung des Infektionsschutzgesetzes wirkte Ende letzter Woche eher so, als wenn die Bundestagsabgeordneten hier in der überwiegenden Mehrheit sich nicht als diejenigen verstehen – und auch von anderen nicht so verstanden werden –, die nach Debatte und Abwägung die wesentlichen politischen Entscheidungen treffen. Sie wirkten eher wie Assistenten der Bundesregierung.

Das zunächst offensichtliche Problem, wenn wegweisende und einschneidende Entscheidungen im exklusiven Kreis der Ministerpräsidentenkonferenz und nicht vorrangig in den Parlamenten gefällt werden, ist, dass sich diese Debatte immer mehr in den halböffentlichen Raum verlagert. Dort klumpen sich Wahrheiten, Halbwahrheiten und Unwahrheiten zu einem klebrigen Brei zusammen, der teilweise ziemlich unappetitlich ist. Ein Blick in manche „Diskussion“ in den sozialen Medien kann diesen Eindruck schnell bestätigen. Überdramatisierung und Verharmlosung zugleich und überall: Entweder wird die Krankheit verharmlost und die Eingriffe in die Grundfreiheiten überdramatisiert, indem man beispielsweise die Änderung des Infektionsschutzgesetzes als „Ermächtigungsgesetz“ tituliert oder von der „Corona-Diktatur“ spricht. Umgekehrt gilt aber häufig dasselbe: Die Freiheitseingriffe werden verharmlost und die Krankheit wird überdramatisiert, so dass die Bürger nur gerne und willfährig sich bevormunden und einschränken lassen, „Der Staat muss es regeln“, „Eigenverantwortung funktioniert nicht!“.

Das einzige aber, das gegen Verharmlosung und Überdramatisierung hilft, ist nüchternes und vielleicht langweiliges Differenzieren und Argumentieren – etwas, das es im Zeitalter der Twitterisierung schwer hat. Denn nur Argumente und klare Aussagen ermöglichen ein Gespräch unter Erwachsenen, in dem man einen sinnvollen Konsens erreichen kann. Verzichtet man darauf und entscheidet paternalistisch von oben herab, dann gebärden sich die Bürger auch schnell wie Kinder: entweder wie bockige Kinder, denen man etwas weggenommen hat oder wie ängstliche Kinder, die sich an Muttis Rockzipfel klammern und hinter Papa Markus’ starken Schultern verstecken.

Wenn man sich jedoch auf eine nüchterne Betrachtung einlässt, ist als erstes und gegen alle Kritiker der Maßnahmen festzuhalten: Wir haben gar keinen richtigen keinen Lockdown! Ein Lockdown wäre eine beinahe-Massenquarantäne wie im Frühjahr,als nur das allernötigste an Läden geöffnet hatte und neben der Gastronomie und dem Kulturbetrieb auch viele andere Arbeitsstätten sowie die Schulen und die Gotteshäuser geschlossen haben. Gleichzeitig stellt sich sofort die Frage: Warum wird dann das Betriebsverbot für Gastronomie, Freizeitgewerbe und Kulturbetrieb in Kombination mit dem Verbot von Großveranstaltungen und Kontaktbeschränkungen als „Lockdown-light“ bezeichnet, und zwar gerade von Politikern? Warum wird hier etwas verunklart?

Den sachlichen Grund dafür ließ die Bundeskanzlerin bei der Pressekonferenz nach der Ministerpräsidentenkonferenz am 2. November deutlich durchblicken: Es gehe ja gar nicht darum, eine gerechte Regelung zu finden, sondern eine „lebenspraktische“. Es gehe nicht um eine Diskussion um „dieses oder jenes Hygienekonzept, sondern um die flächendeckende Reduzierung von Kontakten“, ohne dass dabei die Wirtschaft allzu großen Schaden nähme und Schulen wie Kitas geschlossen werden müssten. Eine differenzierte und mithin gerechte Regelung, die dann womöglich noch einen schnarchlangweiligen Namen in Behördendeutsch wie etwa „Gaststättenschließungsverordung zur Eindämmung der Ausbreitung des Erregers SARS-CoV-2“ bekommen hätte, dürfte sich wohl kaum nachhaltig in das Gedächtnis einbrennen.

Zugleich ließ Kanzlerin Merkel keinen Zweifel daran, dass es aus ihrer Sicht hier überhaupt keinen politischen Spielraum gäbe; das Infektionsgeschehen sei eher eine Art „Naturkatastrophe“. Zumal die Politiker auch nur den Empfehlungen der Wissenschaftler folgten. Ein Sachzwang also. In dieser technokratischen Logik ist es dann auch nur konsequent, dass die Exekutive gar nicht anders handeln kann. Warum dann überhaupt noch die Parlamente befragen, möchte man daraus folgern. Wenn aber das durch den „Sachzwang“ diktierte Ziel die „Kontaktreduzierung“ ist, dürfte die Bezeichnung „Lockdown-Light“ wohl auch darauf setzen, dass bei dem Begriff „Lockdown“ in allen Ohren die Alarmglocken klingeln und sich die Bürgerinnen und Bürger eigenverantwortlich bemühen, ihre Kontakte zu reduzieren. Darum wurde die Bundeskanzlerin auch nicht müde zu betonen, dass es „Jeder und Jede in der Hand“ habe und die Maßnahmen auf Akzeptanz und das „Mitmachen der Bevölkerung angewiesen seien.“ Und ganz nüchtern betrachtet ist genau das des Pudels Kern: Die Regierung hat es gar nicht in der Hand, selbst wenn sie es wollte, sie könnte gar nicht flächendeckend eine Kontaktreduzierung kontrollieren. Es kommt auf die eigenverantwortlichen Bürger an, anders ist dieser Krise gar nicht Herr zu werden.

Umso fataler mutet es daher an, wenn offensichtlich die Bundesregierung in Person der Kanzlerin das Problem nur in den Kategorien des „Sachzwangs“ betrachtet, dem man mit der mit dem Begriff „Lockdown-Light“ verbundenen Evozierung irrationaler Ängste begegnen will, um die Bürger zu disziplinieren. So behandelt man Bürger nicht wie mündige Erwachsene, sondern wie Kinder, die man vor sich selber schützen muss. Allerdings hört man von vielen dieser Bürger auch gerne den Satz: „Eigenverantwortung funktioniert nicht“. Ums Funktionieren geht es also. Der Sachzwang hat gesprochen. Und wenn es der Sachzwang gebietet, dann müssen Vater Staat – oder Mutter Staat – eben auch paternalistisch agieren, oder eher maternalistisch: nicht mit Druck und Strafe, sondern durch gutes Zureden und Weckung von Gefühlen. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki sieht in den Maßnahmen des „Lockdown-Light“ daher einen „undemokratischen Geist“ der „Volkserziehung“. Damit scheint er recht zu haben.

Aber: auch diejenigen, die die ganze Zeit das Wort „Corona-Diktatur“ vor sich hin grölen, sind Teil des Problems, nicht der Lösung: „Freiheit heißt Verantwortung“ sagte Angela Merkel ebenfalls in besagter Bundespressekonferenz. Wer meint, Regeln würden für ihn nicht gelten, weil er es besser wisse und damit potenziell das Leben seiner Mitbürger gefährdet, ist kein sorgfältig abwägender, mündiger Bürger, der im Gespräch mit allen anderen einen tragfähigen Kompromiss einzugehen bereit ist. Wer bei Anti-Corona-Demos Masken nicht aufsetzt und sich nicht um das Einhalten von Sicherheitsabständen bemüht, wer die Änderung des Infektionsschutzgesetzes als „Ermächtigungsgesetz“ tituliert und bei Debatten den jeweiligen Sprecher anpöbelt, statt ihm mit guten Gründen zu begegnen, der gebiert sich eben selber wie ein bockiges Kind.

Denn, wieder ganz nüchtern betrachtet, ist bei allen Problemen, die mit den Corona-Schutzmaßnahmen verbunden sind, festzuhalten: Etwa 30 Prozent der Bevölkerung sind allein aufgrund von Alter und Behinderung Risikopatienten. Menschen mit Vorerkrankungen kommen noch hinzu. Deren Leben zu schützen ist der innere Sinn aller Maßnahmen. Mögen sie im Einzelnen auch unsinnig sein, mag ihr politisches Zustandekommen fragwürdig sein, mögen die Folgekosten auch hochproblematisch sein: Im Zweifel ist derjenige, der meint, er habe ein Recht darauf Partys zu feiern, auch dafür verantwortlich, dass in einem Krankenhaus Ärzte entscheiden müssen, wer beatmet wird und wer nicht. Wer das billigend in Kauf nimmt, der gebraucht seine Freiheit nicht mündig, sondern gedankenlos, unmoralisch und egomanisch. Mündige Freiheit heißt Verantwortung!

Umgekehrt gilt aber auch im Blick auf den „Lockdown-Light“ deutlich zu unterstreichen: Verantwortung heißt Freiheit! Und die Bundeskanzlerin selber hat es doch klargemacht: Nur das eigenverantwortliche Handeln der Bürger bringt wirklichen und effektiven Schutz. Am Ende helfen nur die A-H-A-Regeln und deren Umsetzung kann gar nicht flächendeckend kontrolliert werden. Jeder hat es in der Hand. Wenn das aber gilt, dann ist eine Politik, die die Parlamente zu Erfüllungsgehilfen degradiert und auf paternalistische, technokratische Erklärungsmodelle setzt, auch im Blick auf die Erfordernisse des „Sachzwangs“ der falsche Weg. Denn so werden die Bürger nicht wie erwachsene, freie Menschen behandelt, um sie auf ihre Verantwortung zu verpflichten. Wer Menschen nicht als Freie behandelt, muss sich auch nicht wundern, wenn sie sich nicht verantwortlich benehmen, sondern für alle Lebenslagen gerne auf „die da oben“ verweisen. Insofern bleibt zu wünschen, dass die Corona-Krise einen Lerneffekt auf breiter Front mit sich bringt: Nur in einer Kultur, die Menschen befähigt und motiviert, frei zu entscheiden, kann auch eine Kultur der Verantwortung wachsen. Das wäre auch eine heilsame Kur gegen manch andere infantilen Auswüchse im Politikbetrieb, sowohl auf Seiten von Politikern als auch von Bürgern. Dann gingen Deutschland und alle anderen Länder stärker aus der Krise heraus, als sie in sie hineingegangen sind.



Der Verfasser